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Das Röntgenbild zur Hufzubereitung - Fluch oder Segen?

Das vorrangige Ziel beim Ausschneiden der Hufe ist die Ausrichtung der von vorne gesehenen Zehenachse. Das Zubereiten der Hufe vor dem Beschlag unterscheidet sich daher im Prinzip nicht von der Hufpflege beim Barhufpferd. Eine ungleichmässige Gewichtsverlagerung des Pferdes, nicht gleichmässig platzierte Gliedmassen, Verformungen der Hornkapsel, unebener Boden usw. verunmöglichen uns eine objektive Beurteilung. Da wir nur das Äussere sehen, ist die Beurteilung mit unserem Auge immer eine subjektive Wahrnehmung, die auch auf optischen Täuschungen beruht. Den tatsächlichen Zustand der Hufe erkennen wir nur da, wo wir auch arbeiten, von unten.

Dieses Beurteilen setzt jedoch ein geübtes Auge voraus. Ein geschultes Auge, das nur über mehrere Jahre tägliches Training erlangt werden kann. Nicht auf der Schulbank. Dieses geschulte Auge ist kein Wissen, sondern eine erworbene Fähigkeit.
Erworben an Hufen, die man über viele Jahre etwa alle sechs Wochen immer wieder sieht. Personen, die diese Fähigkeit nicht besitzen, versuchen dieses Manko mit Röntgenbildern zu überbrücken.
Das Röntgenbild ist eine Hilfe beim Ankaufsuntersuch, zur Lahmheitsdiagnostik und bei Krankheiten. Das Röntgenbild zur «Stellungskorrektur» ist ungeeignet. Die Beinstellung am erwachsenen Pferd kann nicht korrigiert werden. Das Einzige, was wir können, ist die Ausrichtung des Hufbeines zur Zehenachse, und auch das nur im wenigen Millimeterbereich. Indem wir den Huf über zwei und nicht nur über eine Ebene kürzen, gelingt uns das exakt. Dazu brauchen wir kein Röntgenbild.
Das Röntgen der unteren Pferdegliedmassen ist nicht standardisiert und mit vielen Fehlerquellen behaftet. Je nach Anwendungstechnik ergeben sich verschiedene Interpretationen.
Wohin zielt der Röntgenstrahl, auf die Sohle, das Zentrum oder den Kronrand?
Steht das Pferd auf einem, zwei oder vier Blöcken?
Und wie erklärt man dem Pferd, dass es genau im Moment der Aufnahme sein Gewicht absolut gleichmässig auf alle vier Beine verteilt haben soll?
An einer deutschen Universität wurde ein ruhiges, vertrautes Versuchspferd zehnmal geröntgt, mit zehn verschiedenen Resultaten!
Verschiedene Autoren wie Dr. Hans Castellins, Dr. Jenny Hagen, H.s. Simon Alt, H.s. Phillipe Vandschaepdael warnen vor einer unkritischen Verwendung des Röntgenbildes zur Hufzubereitung.
Das Röntgenbild des Hufbeines im Stand ist eine statische, zweidimensionale Momentaufnahme eines dynamischen, dreidimensionalen Körperteils. Das Hufbein im Stand ist in einer anderen Position als in der Belastung während der Stützbeinphase.
Das Röntgenbild verkommt somit zu einer Anleitung zur Falschkürzung der Hufe!

Die bis heutige gültige Lehre zur Hufbearbeitung suggeriert uns den Huf als eine Art Holzklotz, den man nach unserer Idee bearbeiten und zuschneiden kann. Als wäre das Hufinnere in der Hornkapsel starr befestigt und wir die Lage nach Gutdünken bestimmen könnten.
Zutreffender ist wohl die Aussage von Savoldi, der das Hufinnere mit einem Boot im Wasser vergleicht.
Diese Beweglichkeit wird durch die Hufknorpel in der hinteren Hufhälfte möglich gemacht.
Wir wissen, dass fast alle erwachsenen Pferde im Fesselgelenk eine Neigung eingebaut haben, die laterale Seite ist niedriger.

Daraus ergibt sich die von uns angestrebte, von vorne gesehene Zehenachse, mit einer medial steileren und lateral flacheren Hufseitenwand.

Mit einem nicht Bodenparallel stehendem Hufbein (lateral höher).

«Warum glauben wir, dass das Hufbein parallel zum Boden stehen soll? Man könnte genauso gut die Meinung vertreten, dass das Fesselgelenk parallel zum Boden stehen soll».

Monique Craig, Kalifornien, Der Huf Nr. 114/2005


Bodenenge und/oder zehenenge Gliedmassen ist eine vom Menschen kreierte, unglückliche Pferdezucht. Diese Gliedmassenstellungen kommen in der Natur nicht vor.

Auch die anerkannte palmar/plantar positive Winkelung des Hufbeines erscheint uns unlogisch. Warum konstruiert die Evolution einen Knochen mit einer Tragefläche, die nicht plan, dazu noch leicht verkippt, nur auf der Zehenspitze stehen soll?

«Naturhufbearbeiter» umgehen diese Frage elegant, indem sie kurzerhand die Trachten kürzen, um das Hufbein in die von ihnen gewünschte Bodenparallelität zu bringen.

Ein weiteres Rätsel offenbart sich in der Frage: Warum über Jahrzehnte und immer noch, vom Pferd eine plane Fussung verlangt wird, obwohl es anatomisch dazu gar nicht in der Lage ist?

Je schneller die Gangart, desto mehr ist es gezwungen, um im Gleichgewicht zu bleiben, die stützende Gliedmasse unter seinen Schwerpunkt zu bringen. Je schneller die Gangart, desto mehr aussen und äussere Trachtenfussung.

Die Lösung all dieser Fragen finden wir in der bereits erwähnten beweglichen, hinteren Hufhälfte.
In voller Belastung, in der Stützbeinphase, müssen die Hufknorpel, um Kron- und Fesselbein Platz zu machen, im oberen Bereich auseinanderweichen. Und durch den Bodengegendruck nach oben.

Der Beweis für diese Dynamik liefert die Tatsache, dass, wenn wir die Trachte mit einem ca. 1cm hohen Keil unterlegen, den palmar/plantaren Winkel des Hufbeines praktisch nicht verändert haben. Die Hufknorpel sind einfach nach oben gewichen.

Dieses Ausweichen der Hufknorpel liefert uns auch gleich die Erklärung für das uns als unlogisch erscheinende «Absenken der Sohle».
Die in der Bewegung unter den Schwerpunkt gestellte Gliedmasse muss beim Auffussen und in der Stützbeinphase zwangsweise die laterale, breitere Hufseite mehr belasten.
Die Hufknorpel, der äussere etwas mehr, werden zur Stossbrechung nach oben geschoben, gedrückt.
Der palmar/plantare Winkel und die medial/laterale Verkippung des Hufbeines werden dadurch aufgehoben. Die Tragefläche des Hufbeines steht jetzt, in der vollen Belastung (das gegenüberliegende Bein ist angehoben) plan zum Boden!

Ob die vertikale Trachtenbewegung beim beschlagenen Pferd vermindert oder gar aufgehoben ist, wie oft behauptet, ist spekulativ und nicht untersucht.
Da mit einem Beschlag das Pferd einfach nur «etwas höher gestellt» wird, die hintere, bewegliche Hufhälfte aber nicht fixiert ist, spricht nichts für eine Einschränkung.
Dass eine Bewegung stattfinden muss, erkennen wir an den Scheuerrillen auf den Eisenschenkeln.
Sie können nicht von einem nie bewiesenen, horizontalen Hufmechanismus herrühren. In einer Rille wird die Trachtenwand fixiert, nicht bewegt.
Das Entstehen der Scheuerrillen durch vertikalen Druck erscheint weit plausibler.

Ungenaues oder falsch verstandenes Zubereiten der Hufe vor dem Beschlag ist wahrscheinlich mehr verantwortlich für die enormen Verformungen und pathologischen Veränderungen der Pferdehufe als der Beschlag mit Eisen.